Wenn das Wickeln schwierig wird

Aus diesem Grund möchte ich einige Gedanken mit Euch teilen, um (wieder) zu einem echten und freudvollen Miteinander bei den täglichen Wickel- und auch anderen Pflegesituationen zu finden.
Wenn wir uns bewusst machen, dass die täglich wiederkehrenden Pflegehandlungen DIE Gelegenheit für ein beziehungsvolles Miteinander mit einem jungen Kind sind, ist es auch einfacher unsere Haltung zu ändern und die Pflegeaktivität als Chance für die Entwicklung einer engen Beziehung mit unserem Kind zu schätzen.

Werden wir langsamer anstatt hektischer. Versuchen wir, die Signale des Kindes verstehen zu lernen und seine Kompetenzen zu erkennen. Wie kann das gelingen?

Schenken wir dem Kind unsere ungeteilte Aufmerksamkeit. Lassen wir andere Sorgen und Gedanken zurück, um uns für diese Minuten ganz auf das Baby einzulassen. Selbst die jüngsten Säuglinge spüren unsere Eile oder unser Abschweifen und sind dadurch eher angespannt und ablehnend als kooperativ.  Langsame, sanfte Berührungen unserer Hände schaffen zudem Vertrauen.

Sprechen wir mit unserem Kind. Erklären wir und erzählen wir ihm, was wir jetzt mit ihm vorhaben. Dies erscheint für manche Eltern unsinnig und auch schwierig. „Versteht mich denn mein Baby bereits?“ Tatsächlich ist es vor allem zu Beginn vielleicht herausfordernd, da wir ja noch keine wirkliche Antwort auf unsere Beschreibungen bekommen. Dennoch – durch unser zugewandtes freundliches Sprechen mit dem Baby, den Pausen zwischen den Sätzen, den Blicken und Gesten, den Wiederholungen kann der Säugling Zusammenhänge zwischen dem An- und Ausziehen, dem Wickeln, auch dem Baden und Füttern und den sich wiederholenden Wortfolgen erkennen. Bald schon reagiert das Baby auf unsere Ansprache ebenfalls mit Gesten und Blicken, später mit Lautieren und Lachen. Die Eltern nehmen diese Reaktionen wiederum auf und spiegeln und beantworten diese wieder. So entstehen die ersten Zwiegespräche.

Zudem hilft das Sprechen dem Erwachsenen dabei, mit den Gedanken beim Kind und bei der momentanen Tätigkeit zu bleiben und das Kind so immer wieder zur Mitarbeit einzuladen.

Dies kann beispielsweise so ausschauen. Wir zeigen dem Kind das Jäckchen und sagen: „Schau, ich möchte dir jetzt deine Jacke anziehen.“ Wir bereiten den ersten Ärmel vor. „Ich ziehe jetzt deinen Arm durch den Ärmel. Oh, danke, du hast mir geholfen.“ Auch eine Lageveränderung kündigen wir ihm an. „Jetzt drehe ich dich auf die Seite, damit ich dich auf dem Rücken abwischen kann.“ Oder auch: „Oje, du weinst. Habe ich dich zu schnell hingelegt. Ich halte dich noch ein wenig, bevor ich anfange.“

Ein Kind wird im Laufe seiner ersten Jahre 5.000 bis 7.000 mal gewickelt. Wir können das Wickeln zu einer sozialen Erfahrung, einer Beziehungs- und zu einer Lernerfahrung machen.

Das Kind nimmt unsere Worte nicht nur akustisch auf, es verknüpft sie mit den dabei gemachten, ganzheitlichen Körper- und Sinneserfahrungen. Beispielsweise der nasse, warme Waschlappen oder der Reißverschluß des Pyjamas, der beim Zuziehen ein Geräusch macht….

Magda Gerber (Schülerin Emmi Piklers) schreibt dazu: „Wir alle werden in unserem Leben positiv oder negativ von Erfahrungen geprägt, die sich häufig wiederholen. Eine der frühesten Erfahrungen dieser Art machen wir, wenn wir gewickelt werden, und viel Zeit und Energie des Kindes und der Eltern werden während der ersten Lebensjahre, in denen das Kind sehr empfänglich und aufnahmebereit ist, darauf verwandt.
Während des Wickelns ist das Baby den Eltern nahe und kann ihr Gesicht sehen, ihre Berührung empfinden, ihre Stimme hören, ihre Gesten beobachten und lernen, sich auf sie einzustellen und sie kennen zu lernen.
Eltern, die Wickeln nur als Pflicht sehen, entwickeln oft eine schnelle, effiziente Routine und haben dabei Hygiene als einziges Ziel. Oft werden dem Kind Spielsachen in die Hand gegeben, um seine Aufmerksamkeit vom Vorgang des Wickelns abzulenken. Es gibt wenig Blickkontakt oder Kommunikation, weil die Eltern sich auf den Unterleib des Babys konzentrieren. Und wenn das Baby weint oder sich sträubt, dann beeilen sich Eltern oft umso mehr und beruhigen das Baby: „Ist ja gut, wir sind sofort fertig, dann können wir wieder spielen.“
Das Ergebnis dieser Art zu Wickeln ist, dass es der Effizienz zuliebe oft mechanisch und unpersönlich wird. Das Kind bekommt vielleicht auch verschiedene negative Botschaften wie zum Beispiel, dass die Pflege des Körpers und körperliche Vorgänge überhaupt abstoßend sind oder dass man Pflegeaktivitäten nicht zusammen genießen kann
.“

Die Art, wie wir mit dem Kind bei den Pflegeaktivitäten zusammen sind, ist demnach mitentscheidend für sein Bild von sich Selbst, seinem Selbstwertgefühl.  

Und wenn das Baby nun schon etwas älter oder schon ein Kleinkind ist?  

Kündigen wir dem Kind an, dass wir es wickeln möchten, aber unterbrechen wir es nicht. Die meisten Windelwechsel können etwas verschoben werden, bis die Spielaktivität des Kindes eine natürliche Pause macht, in der das Kind herumschaut, eventuell unseren Blick sucht, uns ruft. Wenn das Kind schon selbständig geht, können wir es fragen, ob es selbst zum Wickeltisch gehen mag, oder ob wir es tragen sollen. Gerne klettern die Kinder auch selber zum Wickeltisch hoch, ein Treppchen oder ein Hocker ermöglicht ihnen das. Wenn es sich zunächst widersetzt, können wir ihm, wenn es für uns in dieser Situation passt, auch noch einmal ein paar Minuten Zeit geben: „Ok, ich sehe, du spielst immer noch. In fünf Minuten werden wir die Windeln wechseln.“ Kleinkinder sehnen sich nach Autonomie und sind zugänglicher für eine Kooperation, wenn wir Ihr Bedürfnis respektieren, auch einige eigene Entscheidungen zu treffen.

Meistens möchte sich das Kind auf dem Wickeltisch bewegen. Es beginnt sich zu drehen, bei fortgeschrittener Bewegungsentwicklung, beginnt es sich auch aufzurichten. Hier gilt:
„Die freie Bewegungsentwicklung macht auch auf dem Wickeltisch nicht Halt.“
Möglicherweise kann ein Pikler-Wickelaufsatz für Entspannung sorgen.

Dieser ist an zwei bis drei Seiten mit Gittersprossen abgesichert und bietet eine ebene, feste Unterlage, die auch ausreichend groß ist. Bauanleitungen und Bezugsquellen sind auf Wunsch von mir erhältlich. Auf einem solchen Wickeltisch ist das Kind zum einen vom Herunterfallen sicherer, zum anderen kann es sich an den Stäben hochziehen und ist dadurch aktiver in das Geschehen eingebunden.

Erinnern wir uns daran, dass Babys rasch wachsen, neue Fähigkeiten entwickeln und wieder anders einbezogen werden können. Das Kind kann mithelfen, indem es zum Beispiel ein Kleidungsstück, ein Pflegeutensil halten, oder die Socken ausziehen darf. Wir müssen es lediglich ein wenig unterstützen, die Socken über die Ferse zu schieben. Oder es kann den Pullover selbst über den Kopf ziehen und wir freuen uns miteinander, wenn der Kopf dann wieder auftaucht. Beim Anziehen darf es sich vielleicht  zwischen zwei angebotenen Kleidungsstücken entscheiden. „Magst du die grüne Hose oder die rote Hose anziehen?“ Indem wir in jeder Hand eine Hose herzeigen, sieht das Kind die unterschiedlichen Farben und kann auch diese in seiner praktischen Lernumgebung kennenlernen. Auch hier gilt wieder, die Autonomiebedürfnisse des Kindes zu sehen, es aber nicht zu überfordern. Zu viele Auswahlmöglichkeiten sind nicht sinnvoll.

Ungefähr im vierten Quartal fangen viele Kinder an, uns bei unseren Pflegeaktivitäten zu „necken“. Pikler nannte diese Phase „schelmisches Spiel“. Dies kann beispielsweise so aussehen, dass wir dem Kleinkind die Socken anziehen möchten, das Kind streckt uns aber den „falschen“ Fuß, den bereits angezogenen, entgegen. Oder es wirft die vorbereiteten Socken hinunter und lacht dabei.

Dieses beruht auf großem Vertrauen und dem Wissen des Kindes, dass wir mit dem Spiel umgehen können, und dass auch wir wissen, dass das ein Spiel ist. Es hat die kognitive Fähigkeit erreicht, unsererseits geplante Tätigkeiten zu erkennen. Es ist für beide fein, kurz auf dieses Necken einzugehen, dieses auch anzusprechen, dann aber mit Gelassenheit mit dem geplanten Ablauf fortzufahren. Selbst wenn wir den Eindruck haben, das Kind interessiert sich nicht für das Wickeln und es hat keine Zeit dafür, so dürfen wir darauf vertrauen, dass es das Zusammensein mit uns genießt.

Das schelmische Spiel kann man mit Kindern durchaus auch in der Fremdbetreuung erleben, wenn sie sich mit ihrer Betreuungsperson wohl fühlen.

Macht Euch keine Sorgen, wenn es nicht jeden Tag gelingt, auf diese Weise bei der Pflege zusammen zu sein. Manchmal ist es einfach zu hektisch. Termine müssen eingehalten werden, auch die Tatsache, dass oft Geschwisterkinder ebenfalls mehr oder weniger unaufschiebbare Bedürfnisse haben, ist völlig klar und zu berücksichtigen. Allein das Bewusst machen, dass diese exklusiven Zeiten, echte „Quality time“ sind, und hier ungemein viel an Beziehungspflege passieren kann, ist sehr wertvoll.

Ein sehr wichtiger Aspekt kommt noch dazu, wenn wir in dieser Quality time unsere ungeteilte Aufmerksamkeit dem Kind widmen. Es tankt dadurch seinen Beziehungsspeicher auf und kann so emotional gesättigt wieder gut eine Zeit lang für sich alleine seine eigenen Lernerfahrungen in Spiel und Bewegung machen.

Und auch wir Erwachsene können dann wieder die Zeit für uns, unsere eigenen Tätigkeiten im Haushalt oder wo auch immer nutzen.